Mission: Wir finanzieren höhere Bildung fair und nachhaltig mit dem Umgekehrten Generationenvertrag, damit sich jede Person frei entfalten kann.
Auf dieser Seite stellen wir unseren Auswahlprozess und seine Hintergründe vor.
Unsere Mission als CHANCEN Genossenschaft besteht darin, höhere Bildung fair und nachhaltig mit dem Umgekehrten Generationenvertrag zu finanzieren, damit sich jede Person frei entfalten kann – unabhängig von der finanziellen Situation und dem Bildungshintergrund ihrer Eltern. Dies erreichen wir durch unser Solidarmodell: Nach dem Abschluss tragen die finanziell besser Gestellten die weniger Verdienenden mit. Es mag auf Grund dessen überraschend wirken, dass wir Bewerber:innen für einen Umgekehrten Generationenvertrag zusätzlich zu den Auswahlverfahren unserer Bildungspartner einem komplexen, mehrstufigen Auswahlprozess unterziehen. Aus mehreren Gründen haben wir uns dafür entschieden. Im Fokus steht dabei das Berechnungsmodell, das dem UGV zugrunde liegt.
Das Berechnungsmodell:
Mit Hilfe unseres Berechnungsmodells ermitteln wir die Vertragskonditionen für die Studiengänge, Bootcamps und Ausbildungen unserer Bildungspartner. Dadurch stellen wir sicher, dass die Rückzahlungssumme aller Geförderten zusammen ausreicht, um das Studium der nachfolgenden Generation zu ermöglichen sowie die laufenden Kosten der CHANCEN eG zu decken. Gleichzeitig streben wir danach, der UGV Anbieter mit den fairsten Konditionen zu sein. Für die Konditionsberechnung bestimmen wir daher Risikofaktoren, wie beispielsweise Studienabbruch und Gehaltserwartungen, aufbauend auf einer weitreichenden und multidimensionalen Analyse des Studienganges und Arbeitsmarktes. Die Stabilität und Fairness des Modells hängt stark von der Qualität und Treffgenauigkeit der getroffenen Annahmen ab. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, ein Auswahlverfahren zu entwickeln, das bemüht ist, nicht die “Besten” auszuwählen, sondern eine sorgfältige “Risikoeinschätzung” zu ermöglichen und daraus resultierend eine Finanzierungsentscheidung abzuleiten. Damit finden wir eine ausgewogene Balance zwischen der zu gewährleistenden Sicherheit des Modells und unserem Ideal, einer möglichst großen Anzahl von Bewerber:innen einen UGV mit vorteilhaften Konditionen anbieten zu können.
Unsere wichtigsten Ziele bei der Entwicklung unseres Verfahrens waren Fairness und Genauigkeit. Auf subjektive Einschätzungen Einzelner und das eigene “Bauchgefühl” wollten wir uns bei einer für die Bewerber:innen so wichtigen finanziellen Entscheidung nicht verlassen. Aus diesem Grund haben wir ein wissenschaftliches Vorgehen gewählt und das Verfahren entlang aktueller Standards aus den Bereichen der psychologischen Eignungsdiagnostik und der pädagogischen Psychologie konzipiert. Im Vordergrund steht dabei eine Standardisierung und Strukturierung des Verfahrens, wodurch alle Bewerber:innen im Auswahlprozess möglichst gleiche Chancen erhalten sollen. Wir haben uns neben geeigneten Auswahlkriterien auch darum bemüht, Faktoren zu identifizieren, die manche Bewerber:innen in unserem Prozess versehentlich diskriminieren oder ihnen einen unfairen Nachteil einräumen könnten. Wir bemühen uns, solche Verzerrungen aus unserem Verfahren auszuschließen. Außerdem kontrollieren wir mögliche Einflüsse auch weiterhin im Prozess und zukünftig auch im Rahmen unserer statistischen Evaluation des Auswahlverfahrens. Die Auswahlkriterien wurden vorrangig aus aktuellen wissenschaftlichen Studienergebnissen abgeleitet. Zusätzlich dazu wurden und werden von uns für einige Bildungspartner bei mangelnder Datenlage sogenannte “Anforderungsanalysen” mit Hilfe von Dozierenden, Studierenden und Auswahlteams der Bildungspartner durchgeführt.
Warum ist ein standardisiertes und teil-strukturiertes Vorgehen sinnvoll?
Die Standardisierung eines Auswahlprozesses ermöglicht, dass alle Bewerber:innen den gleichen Prozess durchlaufen und dadurch eine faire Beurteilung erhalten. Standardisierte Verfahren erreichen Studien zufolge zudem in vielen Bereichen bessere, d.h. korrektere Voraussagen, als Verfahren mit niedriger Standardisierung (z.B. Hell et al., 2007; Hell et al., 2010; Huffcutt et al., 2013). Die Standardisierung kann sich auf den Gesamtprozess, das Auswahlinterview und die Entscheidungsfindung beziehen. Mit Blick auf das Interview gibt die Standardisierung an, wie stark die Formulierung und Reihenfolge der Fragen festgelegt sind oder inwieweit davon abgewichen werden darf. Auch die Bewertung im Auswahlinterview kann standardisiert, d.h. anhand einer einheitlichen Skala vorgenommen werden. Eine standardisierte Entscheidungsfindung liegt vor, wenn die gesammelten Informationen auf die gleiche Art ausgewertet werden, etwa in Form von vorher festgelegten Entscheidungsregeln (z.B. wenn Frage A “x” Punkte erreicht wurden, dann muss in den Fragen B und C zusammengenommen mindestens die Punktzahl “y” vorliegen). Bei einem teil-strukturierten Verfahren, wie wir es ausgearbeitet haben, wird mit einem Interviewleitfaden gearbeitet, die Reihenfolge der Fragen und etwaige Nachfragen bleiben jedoch den Interviewenden überlassen. Damit bleibt das Auswahlgespräch vergleichbar, lässt aber auch – im Sinne der Bewerber:innenzufriedenheit – einen natürlicheren Gesprächsfluss und eine angenehmere Atmosphäre zu.
Formale Kriterien
Mit dem UGV können wir derzeit nur Bewerber:innen unterstützen, die bestimmte formale Förderungsvoraussetzungen erfüllen. Die Einschränkungen variieren je nach Studiengang und Ausbildungsart. Der Grund hierfür liegt wie beschrieben in unserem Berechnungsmodell und den darin getroffenen Einkommensprognosen. Gleichzeitig unterliegen wir rechtlichen Begrenzungen. Durch die Tätigkeit unserer Tochtergesellschaft CHANCEN International in Rwanda tragen wir jedoch schon jetzt wesentlich dazu bei, Bildung länderübergreifend zu ermöglichen.
Eignungskriterien
Als wesentliche Eignungskriterien wurden Motivation, Qualifikation und Informiertheit sowie eine Passung mit unserem Solidargedanken festgelegt. Diese Kriterien erfassen wir über mehrere Subdimensionen, welche wiederum auf verschiedenen Wegen erhoben werden. Damit haben wir in unseren Augen die Voraussetzungen für ein möglichst genaues und faires Verfahren geschaffen. Wir bitten um Verständnis, dass wir, um die Fairness und Qualität unseres Verfahrens sicherzustellen, keine detaillierteren Eignungskriterien nach Außen kommunizieren können. Wir möchten mit dieser Maßnahme verhindern, dass Bewerber:innen durch Vorabinformationen einen Vorteil erhalten und unsere Messungen (un-)bewusst verfälschen.
Frage: “Hatten Sie schon einmal Gelegenheit, Führungsaufgaben zu übernehmen? Welche Situation war das? Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
Zielkriterium, das gemessen werden soll: Führungserfahrung
Diagnostische Frage, die es zu beantworten gilt: “Verfügt der/die Bewerber:in über relevante Führungserfahrung und konnte er/sie die Führungsrolle gut ausfüllen?”
1 – Keine oder keine nennenswerte Erfahrung
2 –
3 – Nennt einfache Beispiele (z.B. Sport); im Wesentlichen durch die Initiative anderer in Führungsrollen gekommen; bei den genannten Aufgaben erfolgreich gewesen; hat mehr daraus gelernt als “dass es nicht so einfach ist”
4 –
5 – Mehrfache Erfahrung; lässt Erfolg und Freude an der Führung anderer erkennen; hat aus dieser Erfahrung gelernt und für sich sogar schon gewisse Führungsprinzipien abgeleitet; weiß, dass man Mühe und Geschick aufwenden muss, um andere zu führen und ist auch bereit dazu; wird von anderen in der Führungsrolle akzeptiert
Durch Klicken auf den jeweiligen Bewerbungsabschnitt erhältst du weitere Informationen:
1. Bewerber:innen stehen zahlreiche Informationen zum Bewerbungsprozess auf unserer Website zur Verfügung.
2. Nach der Bewerbung beim Bildungspartner reichen Bewerber:innen ihre Bewerbung bei uns über unsere Website ein.
Die Bewerbung erfolgt standardisiert, d.h. Bewerber:innen reichen keine individuellen Bewerbungsunterlagen ein, sondern füllen stattdessen ein von uns konzipiertes Formular aus. Damit möchten wir erreichen, dass unsere Interviewenden möglichst unbefangen ins Interview gehen - uns interessieren keine Fotos von Bewerber:innen oder die “Ordentlichkeit” der Bewerbungsunterlagen - wir erfragen im Formular nur aus unserer Sicht relevante Informationen, die uns einen ersten Eindruck von Motivation und Qualifikation der Bewerber:innen vermitteln.
3. Bei vollständiger Bewerbung inkl. aller erforderlichen Unterlagen haben die Bewerber:innen die Möglichkeit, über einen Link einen Termin zum Auswahlgespräch mit uns zu vereinbaren. Im Auswahlgespräch vertiefen wir die Informationen aus den Bewerbungsunterlagen und fokussieren mittels eines teil-strukturierten Gesprächsleitfadens auf die von uns festgelegten Eignungskriterien. Die Bewertung erfolgt anhand einer verhaltensverankerten 5-stufigen Punkteskala. Unsere Interviewenden werden von Expert:innen im Umgang mit dem Leitfaden intern geschult und sind darauf trainiert, bekannte psychologische Verzerrungstendenzen, die in Gesprächen auftreten können, zu berücksichtigen.
4. Die Auswertung des Auswahlgesprächs erfolgt anhand eines standardisierten Evaluationsschemas, in dem die von uns erhobenen Dimensionen rechnerisch gewichtet und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Werden die erforderlichen Scores in den Dimensionen sowie ein bestimmter Gesamtscore erreicht, erhalten Bewerber:innen von uns eine Finanzierungszusage. Liegen im Ausnahmefall Gründe vor, dass die Bewertung durch individuelle Faktoren verzerrt oder beeinflusst worden sein könnte, entscheidet ein Expert:innengremium gemeinsam mit dem/der jeweiligen Interviewenden über das weitere Vorgehen – etwa ein zweites Gespräch zur Absicherung oder eine direkte Zu-, bzw. Absage.
Eine Absage beruht auf dem wissenschaftlichen Auswahlprozess der CHANCEN eG. Damit keine Details über unser Auswahlverfahren öffentlich werden, können wir keine individuellen Absagegründe nennen. Eine Absage unsererseits ist in jedem Fall als Momentaufnahme zu verstehen und Bewerber:innen haben die Möglichkeit, sich 6 Monate nach einer Absage erneut bei uns zu bewerben.
5. Bei Zusage einer Finanzierung erfolgt der Vertragsschluss mit den Bewerber:innen.
6. Besteht eine Partnerschaft mit dem jeweiligen Bildungspartner, wird eine Kauf- und Abtretungsvereinbarung zwischen der CHANCEN eG und dem Bildungspartner geschlossen.
Untersuchungen haben ergeben, dass die sogenannte statistische Urteilsbildung der “klinischen”, d.h. der subjektiven Einschätzung von Personen, überlegen ist (z.B. Grove et al., 2000; Ægisdóttir et al., 2006; Schmidt-Atzert & Amelang, 2012). Bei der statistischen Urteilsbildung wird die Entscheidung anhand von statistischen Modellen und darin enthaltener Daten getroffen, die sich als ausschlaggebend erwiesen haben. Wir haben unseren Prozess der Entscheidungsfindung daran orientiert und einen Entscheidungsalgorithmus entwickelt. Dieser sehr komplexe Entscheidungsalgorithmus basiert auf Studienergebnissen und Expert:inneneinschätzungen zu den von uns verwendeten Eignungsdimensionen. Dadurch wird erreicht, dass wichtigere Dimensionen in die Entscheidung auch mit ihrer entsprechenden Gewichtung einfließen und nicht durch unwichtigere Merkmale verzerrt werden (wie es zum Beispiel der Fall wäre, wenn der Gesamtscore lediglich durch Addition der Punktwerte in den einzelnen Fragen zustande käme). Wir verhindern außerdem Verzerrungstendenzen, die entstehen können, wenn die Interviewenden von einzelnen Merkmalen der Bewerber:innen “geblendet” werden und dafür anderes, was eventuell wichtiger wäre, unter den Tisch fallen lassen. Stattdessen setzen wir unsere Dimensionen miteinander ins Verhältnis und berücksichtigen auch Zusammenhänge zwischen den Dimensionen, die sich teilweise ausgleichen können. Natürlich bildet auch ein solches Modell die Wirklichkeit nur zu einem gewissen Teil ab. Dennoch hoffen wir, damit der Komplexität von Eignungseinschätzungen zumindest ein Stück weit Rechnung zu tragen und eine höchstmögliche Fairness zu gewährleisten.
Um die Qualität unseres Auswahlverfahrens zu überprüfen, setzen wir auf qualitative Befragungen unserer Bewerber:innen und statistische Untersuchungen unseres Gesprächsleitfadens. Hierzu benötigen wir unterschiedliche Daten in ausreichendem Umfang. Die Zufriedenheit unserer Bewerber:innen mit dem Prozess erfassen wir mit Hilfe eines Fragebogens nach dem Gespräch. Den Gesprächsleitfaden überprüfen wir mittels statistischer Analysen wie Itemanalysen, Korrelationsanalysen, Gruppenvergleichen und weiteren Verfahren. Im Zentrum steht dabei, nachzuweisen, dass unsere Eignungskriterien und die Art, wie wir sie erfassen, aussagekräftig und genau sind. Außerdem soll ausgeschlossen werden, dass bestimmte Zielgruppen durch unser Verfahren systematisch benachteiligt werden. Dazu erheben wir neben den Daten im Auswahlgespräch Angaben unserer Bewerber:innen u.a. über ihren sozioökonomischen Hintergrund, Geschlecht und Migrationshintergrund. Diese Angaben fließen selbstverständlich nicht in die Finanzierungsentscheidung ein, sondern dienen lediglich der Kontrolle der Qualität unseres Verfahrens. Die Daten sind teilanonymisiert, d.h. wir können sie für statistische Zwecke zwar einer Person zuordnen, der interviewenden Person liegen sie (mit Ausnahme des Geschlechts) jedoch nicht vor.
Katarina Sauder
Student & Alumni Services