Im Herzen Berlins, am Rande des Regierungsviertels, sitzt zwischen Brandenburger Tor, Bundestag und Finanzministerium die Hertie School of Governance. Seit der Gründung im Jahr 2003 werden hier junge Menschen in Public Policy und seit 2014 ebenfalls in International Affairs ausgebildet. Wir sprachen mit dem Managing Director Dr. Axel Baisch über die Entstehungsgeschichte der Hochschule, ihre Ziele und ihren besonderen didaktischen Ansatz.
Herr Dr. Baisch, die Hertie School of Governance wurde im Jahr 2003 von der Hertie Stiftung gegründet. Was waren die Beweggründe, die zur Entstehung der Hochschule führten?
Im Gegensatz zu anderen Ländern gab es zur Jahrtausendwende keine Public Policy School in Deutschland. Die Gründungsväter der Hertie School reisten durch die Welt, um verschiedene Ansätze zu vergleichen und ein geeignetes Modell für Deutschland zu entwickeln. Was Public Policy Schools besonders macht, ist zum Beispiel die Interdisziplinarität: Eine Fakultät vereint verschiedene Disziplinen, unter anderem Soziologie, Politikwissenschaften, Management, Volkswirtschaftslehre und Jura. Durch ein abgestimmtes Curriculum studiert man entsprechend nicht ein Fach mit mehreren Nebenfächern, sondern durch kluge Vernetzung tatsächlich interdisziplinär. Dieses Prinzip – mit einer besonderen europäischen Perspektive – setzte die Hertie School of Governance dann in Deutschland um.
Wie hat sich die Hochschule seit ihrer Gründung entwickelt?
Zunächst bot die Hertie School of Governance Executive Education an, 2005 folgte das Vollzeitprogramm Master of Public Policy, MPP. Drei Jahre später eröffnete der berufsbegleitende Master of Public Administration und schließlich ein weiteres Vollzeitprogramm, der Master of International Affairs, kurz MIA. Mit der Verleihung des Promotionsrechts im Jahr 2011 und dem eigenen, hochklassigen Doktorandenprogramm kam der akademische Ritterschlag. Mittlerweile haben wir mehr als 500 Studierende hier auf unserem Campus in der Berliner Friedrichstraße. Der aktuelle Jahrgang umfasst fast 300 Studierende aus 50 Ländern. Dazu gehören auch die Austausch-, und Doppelabschluss-Kandidaten unserer mehr als 30 internationalen Partneruniversitäten. In Anbetracht der jungen Geschichte der Hochschule sind das, wie ich finde, ganz beachtliche Ergebnisse.
Die Hertie School zählt zu den renommiertesten nicht-staatlichen wissenschaftlichen Hochschulen in Deutschland. In den 2000ern kamen ja viele neue private Hochschulen auf. Was hat die Hertie School für den gesamten Bildungsbereich schon erreicht?
Es gibt einige Pioniere im Bereich der privaten wissenschaftlichen Hochschulen wie z.B. die WHU und vor allem auch die Universität Witten/Herdecke – beide gegründet in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Grundsätzlich meinen wir, dass Vielfalt den Bildungssektor in Deutschland bereichert. Ob eine Universität öffentlich oder privat ist, ist für mich nicht die spannende Frage. Die Hertie School brachte in erster Linie ein neues Modell: Wir sind eine Governance School. Lehre und Forschung sind auf Analyse und Lösung gesellschaftlicher Probleme gerichtet. Das geht nur unter Berücksichtigung des Zusammenspiels der drei Sektoren, den öffentlichen, des privaten und des zivilgesellschaftlichen. Dieser Ansatz hat eine sehr hohe Praxisrelevanz. Nehmen Sie ein beliebiges gesellschaftliches Problem auf nationaler, europäischer oder globaler Ebene – mit Schubladen-Denken ist keines mehr zu lösen. Deswegen ist es aus unserer Sicht eine sehr gute Nachricht, dass in Deutschland laut Koalitionsvertrag z. B. die Einstellungsvoraussetzungen der Ministerien erweitert werden sollen. Die Hertie School will weiterhin Impulse setzen, was interdisziplinäres und intersektorales Denken angeht.
Der didaktische Ansatz steht diesem Ziel sicherlich nahe – interdisziplinär zu denken und auszubilden.
Absolventen der Hertie School gehen mit einer hohen Kompetenz für Schnittstellen und das Ineinandergreifen verschiedener Disziplinen und Sektoren an Probleme heran. Die Interdisziplinarität äußert sich vielfältig, unsere Professorenschaft vertritt verschiedene Dis-ziplinen und die Studienprogramme sind interdisziplinäre aufgebaut. Ganz wichtig ist auch, dass wir Studierende aller Fachrichtungen aufnehmen, sie bringen entsprechend unterschiedliches Denken ein, so dass sich jeder auf neue Perspektiven einlassen muss. Dazu trägt auch bei, dass viele MPP- und MIA-Studierende erste Berufserfahrung haben. Zudem haben wir das Glück, Menschen aus der ganzen Welt bei uns haben. Circa ein Drittel der Studierenden haben zuvor in Deutschland studiert, ein Drittel haben in Europa und ein Drittel international, d.h. außerhalb von Europa studiert.
Ihr Anspruch ist es, für alle drei Bereiche auszubilden, also den privaten Sektor, den öffentlichen Sektor und den Nichtregierungssektor. Wie verteilen sich Ihre Absolvent*innen denn auf das Spektrum?
Es macht uns sehr stolz, dass unsere Absolvent*innen erfolgreiche Karrieren in allen Sektoren verfolgen: In Ministerien, Behörden, der Europäischen Kommission und internationalen Organisationen wie UN und Weltbank findet man sie ebenso wie in internationalen NGOs, Stiftungen, Think-Tanks und der Wissenschaft. Auch der Privatsektor war schon immer bedeutsam, hier verzeichnen wir in jüngster Zeit ein besonders großes Interesse an unseren Absolvent*innen. Vor allem die großen Beratungsunternehmen suchen Mitarbeiter*innen, die sektorübergreifend denken können und damit z.B. besonders qualifiziert für die Public-Sector-Beratung sind. Für unsere Absolvent*innen zählen neben einer spannenden Aufgabe natürlich auch die Faktoren Flexibilität, Abwechslung und flache Hierarchien am Arbeitsplatz. Wer das bieten kann, ist im Vorteil.
Vielen Dank für das spannende Gespräch und die Einblicke.